Torben Coqhausen
Die Geschichte von Torben Coqhausen
Torben Coqhausen war ein ganz normaler Schüler, der eigentlich bei allen Leuten in seiner Klasse beliebt war. Alle respektierten ihn und niemand machte sich über ihn lustig. Bis heute jedenfalls. Das ganze begann damit, dass seine Klasse gestern im Französischunterricht neue Vokabeln bekommen hatte, unter denen sich auch das Wort „coq“, was so viel wie Hahn bedeutete, befand. Torben schloss gerade sein Fahrrad an, (er war spät dran, die meisten aus seiner Klasse waren schon da) als ihn plötzlich einige seiner Klassenkameraden abfingen. „Hallo“, begrüßte Torben die anderen. Er hatte damit gerechnet, ein frohes Hallo im Chor zu hören, doch stattdessen schnatterten alle durcheinander. Torben konnte nur einzelne Wortfetzen verstehen, unter anderem: „Penis“ und „Coqschellenhausen“. Unterbrochen (oder eher übertönt) wurde das Geschnatter von Nalspon, der mit ausgestrecktem Arm auf Torben zeigte und „Ha ha!“ schrie. Torben wusste überhaupt nicht, was los war. Er wollte gerade jemanden fragen, da kam auch schon Frau Herr (ja, sie hieß tatsächlich so) und der Unterricht begann. Sie hatten eine Doppelstunde Physik. Dementsprechend war die Stimmung ziemlich gedrückt, denn Physik bei Frau Herr war so ziemlich das langweiligste, was man sich vorstellen konnte. Die Stimmung war allerdings nicht lange gedrückt, denn nach etwa 10 Minuten kam Herr Hahn herein, um Material für seinen Unterricht zu holen. Herr Hahn war ein älterer Herr, der dauernd über die heutige Jugend schimpfte. Wie auch immer, kurz, nachdem Herr Hahn hereinkam, fing Nalspon plötzlich an, zu lachen. Er stupste seinen Nachbarn an und flüsterte ihm etwas ins Ohr, woraufhin dieser auch zu Lachen anfing. Nach einigen Sekunden lachten alle Jungs aus Torbens Klasse. Herr Hahn dachte, dass über ihn gelacht wurde (was zumindest indirekt stimmte), und fing wieder mit dem für ihn typischen halblauten Gemurmel über die Jugend von heute an, doch Torben erfuhr den wahren Grund für das Gelächter. Denn er hörte einige Leute „coq“ rufen. Als die Doppelstunde Physik endlich zu Ende war und sie einen Berg Hausaufgaben aufbekommen hatten, läutete die Schulglocke die Pause ein. Während die meisten Mädchen auf ihren Smartphones chatteten oder Fotos austauschten und sich einige unterhielten, rannten sämtliche Jungs zu den Computern, die man während der Pausen benutzten durfte. Es war nicht ungewöhnlich, dass die Jungs die Pausen an den Computern verbrachten, allerdings waren es nie alle und normalerweise gingen sie langsam und kauften sich noch etwas in der Cafeteria. Normalerweise. Heute war eben alles anders. Sobald also alle Jungs die Computer im Rekordtempo erreicht hatten (und vorher laut am Lehrerzimmer vorbeigerannt waren, woraufhin einige der Lehrer laut rummeckerten und Herr Hahn sogar mit einem uralten Rohrstock, der schon mehrere hundert Jahre alt sein musste, gedroht hatte), schalteten sie die Computer ein und loggten sich mit ihren Accounts ein. Jeder Schüler hatte einen durch ein Muster bestimmten Benutzernamen. Er setzte sich zusammen aus den jeweils vier ersten Buchstaben des Vornamens und des Nachnamens, wobei der Nachname vor dem Vornamen stand. Hieß also jemand Klaus Peter, so war sein Benutzername „peteklau“. Hieß jemand Tom oder Max mit Vornamen, war er gedisst, denn solche kurzen Vornamen bekamen beliebige Buchstabenkombinationen, wie zum Beispiel „whrghegr“, die man sich nur schwer merken konnte. In Torbens Klasse gab es einen Tom und er hatte genau diese Kombination. Naja, um nicht vom Thema abzuweichen: Nachdem sich die Jungs an mehreren Computern angemeldet haben und es somit anderen Schülern beinahe unmöglich machten, auch einen PC zu ergattern, starteten sie den Browser und riefen ein Videoportal auf. Torben wunderte es, dass alle das Videoportal aufriefen, doch noch mehr wunderte ihn es, dass alle dasselbe Video ansahen. Doch gleichzeitig gewann er Gewissheit. Das Video, das sich alle ansahen, hieß „Coqschelle.“ Jetzt wusste Torben, warum er und Herr Hahn ausgelacht worden waren: „coq“ hatte noch eine zweite Bedeutung: Penis. Die meisten in seiner Klasse waren noch ziemlich kindisch und fanden das Wort Penis lustig. Sogar die Mädchen. In diesem Augenblick kamen einige Mädchen vorbei. Sie blieben kurz stehen und schauten, was die Jungs machten. Als sie das Video sahen, dachten sie, dass sich die Jungs Pornos ansahen, doch dann erklärte Nalspon den Mädchen, dass das Wort coq zwei Bedeutungen hat und zum Abschluss seiner Ausführungen sagte er: „Torben ist schon gedisst!“ Zuerst verstanden die Mädchen nicht, warum Torben gedisst sein sollte, doch als einer von ihnen Torbens Nachname einfiel, fing sie an zu lachen. Sie erzählte ihren Freundinnen, was ihr gerade in den Sinn gekommen ist und dann fingen diese ebenfalls an zu lachen. Arm in Arm gingen sie zur Tür des Ganges, der zur Cafeteria führte. Torben folgte ihnen auf den Gang. Er hatte ein ungutes Gefühl. Und tatsächlich: Den Mädchen entgegen kam Petra. Petra war ein Mädchen mit dunkelblonden Haaren und braunen Augen. Torben stand auf sie. Er wusste nicht, ob sie auch auf ihn stand, aber er wollte nicht, dass er wegen der Geschichte mit seinem Nachnamen schlechtere Chancen bei ihr hatte. Er wollte die Mädchen unbedingt aufhalten, denn Petra fragte bereits: „Warum lacht ihr denn so?“ Gleich würden die anderen Mädchen es Petra erzählen, und Petra würde auch lachen, über ihn lachen, denn sie lachte gerne und viel. Torben musste sich irgendetwas einfallen lassen, um die Mädchen zu stoppen. Er überlegte fieberhaft, was er tun konnte. Die Mädchen waren immer näher an Petra dran, gleich würden sie Petra erzählen, was der Grund für ihr Gelächter war. „NEIN!“, schrie Torben. Doch die Mädchen beachteten ihn nicht. Jetzt ist es aus, dachte Torben…
Torben wachte verschwitzt auf. Er schaute auf den Wecker. Es war 7:35. Er hatte verschlafen. „Mist“, fluchte er, doch zugleich war er froh, denn er hatte nur geträumt. „Es war alles nur ein Traum“, sagte er erleichtert zu sich selbst. Er ging die Treppe herunter, um zu frühstücken. Danach packte er seine Sachen, holte sein Fahrrad und fuhr zur Schule. Als er in der Schule angekommen war und gerade sein Fahrrad abschloss, fingen ihn einige seiner Klassenkameraden ab. Torben sagte „Hallo“ zur Begrüßung und erwartete, dass sie ihn mit einem Chor aus Hallos zurückgrüßten, doch sie schnatterten nur wild durcheinander. Er konnte einzelne Wortfetzen heraushören, unter anderem: „Penis“ und „Cockschellenhausen“. Das Geschnatter wurde von Nalspon unterbrochen, der „Ha ha“ sagte, während er auf Torben zeigte. Torben wunderte sich. Irgendwie kam ihm die Situation bekannt vor, doch fiel ihm gerade nicht ein, woher. Das war jetzt auch egal, denn jetzt hatten sie Physik. Schnell ging er Frau Herr, seiner Physiklehrerin, und den anderen Schülern hinterher in den Physikraum. Als er auf seinem Platz saß und seine Lehrerin anfing, sie zu begrüßen und die Schüler über den Stoff der letzten Stunde abfragte, ließ Torben das eben erlebte nicht mehr los. Woher kannte er die Situation? Er versuchte sich krampfhaft an die letzten Tage zu erinnern, doch plötzlich fiel es ihm siedend heiß ein: aus seinem Traum! Torben versuchte sich an die Einzelheiten seines Traumes zu erinnern. Sollte es weiterhin so laufen wie in seinem Traum, müsste jetzt eigentlich Herr Hahn erscheinen. Und tatsächlich: Nachdem 10 Minuten der Stunde vergangen waren, kam er herein. Torben dachte, dass jetzt wohl gleich das Gelächter losgehen müsste. Doch es passierte nichts. Harr Hahn nahm seine Sachen und bewegte sich zur Tür. Doch da ging das Gelächter doch noch los. Herr Hahn blieb abrupt stehen und sagte etwas von wegen „Jugend von heute“. Dann verließ er murmelnd das Klassenzimmer. Als die Schulglocke endlich läutete, rannten alle Jungs zu den Computern. Alle außer Torben. Er blieb vor dem Klassenzimmer stehen, weil er unschlüssig war, was er tun sollte. Bisher war alles, was er geträumt hatte, Realität geworden. Er beschloss, dass es wenig Sinn hatte, zu den Computern zu gehen, denn dort würde er sowieso nur das Video sehen. Auch würde es keinen Sinn machen, die Mädchen abzufangen, die an den Computern vorbeigegangen sein werden, denn sie waren zu viert und alle vier davon abzuhalten, dort langzugehen, war alleine wohl kaum zu bewerkstelligen. Außerdem würden dort bestimmt auch noch andere Mädchen entlanggehen. Das einzige, was ihm schlüssig erschien, war, Petra abzuhalten, den anderen vier Mädchen entgegen zu kommen. Doch wie sollte er das machen? Was sollte er sagen? „Hey, Petra, ich finde dich voll sexy, wollen wir was unternehmen?“ oder „Petra, kommst du mit mir in die Cafeteria?“. Er traute sich nicht, sie anzusprechen. Er überlegte, die Dealer aus der 10. anzuheuern, welche den anderen Jungs aus seiner Klasse Schläge androhen würden, wenn sie nicht die Klappe halten würden. Doch erstens hatte er bei weitem nicht genug Geld dabei, um sie anzuheuern, und außerdem würden sie sowieso ablehnen, weil sie Ärger bekommen würden, wenn sie mitten in der Pause irgendjemanden zusammenschlagen würden, und nach der Schule wäre es so wie so zu spät. Was konnte er nur tun? Plötzlich schreckte er auf. Wie spät war es eigentlich? Er schaute auf die Uhr. Es waren bereits 5 Minuten vergangen, die Mädchen müssten jeden Moment an den Computer vorbeikommen. Er rannte los. Er musste dorthin. Er musste Petra davon abhalten, die Geschichte über die Coqschelle zu erfahren. Er musste verhindern, dass sie über ihn lachte. Dass er sich blamierte. Er wollte nicht an der schuleigenen Wand der Schande hängen (welche es tatsächlich gab, es hingen fast 30 Schüler daran, darunter auch die Dealer aus der 10.). Es war ihm egal, was er tun würde, um Petra aufzuhalten. Ihm würde schon etwas einfallen. Als er fast bei der Cafeteria angekommen war, kam ihm Nulspuna entgegen. Sie war das unbeliebteste Mädchen der Klasse und Torben glaubte nicht, dass irgendein Junge auf sie stand. Außer vielleicht Nalspon. Nicht nur ihre Namen passten zusammen. Nalspon und Nulspuna waren auch so ein super Pärchen, fand Torben. Nulspuna rief ihm „Coqschellenhausen“ hinterher, was Torben wunderte. Hatte er sie in seinem Traum nicht bemerkt? Egal. Es gab jetzt wichtigeres. Torben lief in die Cafeteria und versuchte, Petra zu finden. Er fand sie jedoch nicht. Deshalb lief er weiter in den „Gang des Verderbens“, wie er von den Schülern genannt wurde. Ein Grund dafür dürfte sein, dass von ihm das Lehrerzimmer abging, aber es gab noch mehr Gründe: Im Gang lungerten immer komische Schüler herum, welche einen anpöbelten, wenn man alleine durch den Gang lief, und das direkt vor dem Lehrerzimmer. Außerdem war der Gang voller Graffitis. Die Schule besaß nicht genug Geld, um sie alle entfernen zu lassen und es wurden von Woche zu Woche mehr. Zusätzlich war der Gang des Verderbens sehr lang, fast 150 Meter, weshalb es im Gang hallte. Als Torben den Gang erreichte, sah er in etwa 125 Metern Entfernung Petra gehen und noch weiter von ihm entfernt, am anderen Ende des Ganges, betraten gerade die vier Mädchen den Gang. Torben beschleunigte seine Schritte, doch da fragte Petra auch schon: „Warum lacht ihr denn so?“ Die Mädchen fragten kichernd: „Du kennst doch das Wort coq?“ „Ja“, erwiderte Petra, „es bedeutet Hahn, was ist damit?“ „Es hat aber noch eine zweite Bedeutung“, fuhren die Mädchen fort. „Welche denn?“ „Penis! Haben uns die Jungs gezeigt.“ „OK, das ist ja lustig, aber normalerweise würdet ihr deswegen doch nicht so stark lachen, ich kenn euch doch. Was ist los?“ „Geh mal die Nachnamen der Klasse durch. Eine Person hat coq im Namen, genauer gesagt, ein Junge.“ „Wer?“ „Torben.“ „NEEEINN!“, schrie Torben. Doch es war zu spät. Petra drehte sich zu ihm um und lachte, lachte ihn aus. Torben wollte am liebsten im Erdboden versinken, und als dann noch die komischen Typen mit ins Gelächter einfielen, schämte sich Torben zu Grund und Boden. Es war vorbei. Petra fand seinen Nachnamen lustig. Er würde sie nie als Freundin haben. Torben fühlte sich schrecklich. Ihm war plötzlich übel. Es fühlte sich an, als ob er kotzen müsste. Wahrscheinlich hatte er gestern zu viel Torte gegessen, gestern, als noch alles in Ordnung war. Die Kotze kam ihm den Hals herauf und er erbrach sich auf den Boden. Er dachte, dass er seine Seele mit auskotzte. Ja, er würde sterben, elendig verrecken, während die anderen ihn auslachten. Er legte sich auf den Boden und schloss die Augen…
Einige Sekunden später öffnete er sie wieder. Er war hochgeschreckt, aufgewacht. Aufgewacht in seinem Zimmer. Hatte er geträumt? Er rieb sich die Augen und zwickte sich in den Hintern. Er war nun definitiv wach. Er hatte geträumt. Er hatte geträumt, dass er geträumt hatte. Krass. Jetzt war er endlich in der Realität. Er schaute auf den Wecker. Es war elf Uhr. Hatte er verschlafen? Nein, ihm fiel ein, dass er Ferien hatte. Er stand auf und landete mit seinen Füßen in einer ekligen Masse. Er schaute auf den Boden, um zu sehen, was es war. Ihhh, es war Kotze. Er hatte sich tatsächlich wegen seines Traumes erbrochen. Es war aber auch ein ziemlich heftiger Traum gewesen, an dessen Ende er geträumt hatte, zu sterben. Es lag wohl aber auch an zu viel Torte. Schnell putze er die Kotze weg und ging anschließend die Treppe herunter, um zu frühstücken. Er musste sich stärken, weil seine Familie heute verreiste. Sie verreisten zum Mittelmeer, nach Spanien. Juhu, dachte Torben, während er die Treppe herunterging.
E N D E